Dem Schicksal der Millionen Zwangsarbeiter in Deutschland wird auch heute immer noch viel zu wenig Beachtung geschenkt. Vieles ist nicht aufgearbeitet, von unbeantworteten Schadensersatzforderungen ganz abgesehen. Ein Großteil dieser Menschen kam auch aus der Ukraine, einem uns ziemlich unbekannten europäischen Land, das wir nun angesichts des Krieges mit ganz anderen Augen sehen. Die Autorin Natascha Wodin, Jg. 1945, selbst Kind ukrainischer Zwangsarbeiter in Bayern, geht dem Leben ihrer früh verstorbenen Mutter nach. Das deren Heimatstadt die heute schwer umkämpfte Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer ist, mutet merkwürdig passend an.
Khuê Pham: Wo auch immer ihr seid
Die ZEIT-Journalistin und Schriftstellerin, 1968 geboren und in Berlin- Hermsdorf aufgewachsen (vielleicht aus einer Bootpeople Familie?), gibt uns einen Einblick in ihren eigenen Kulturkreis. Viel weiß wahrscheinlich niemand von uns über das Leben der vietnamesischen Community ganz in unserer Nähe. Da lohnt ein Einblick. Es gab auch viel Lob für das Werk. Lassen wir uns überraschen 🙂
Middlesex – Jeffrey Eugenides
Auf der Suche nach der eigenen Identität aus Sicht von Cal/Calliope führt uns das Buch durch einen längeren Zeitraum. Ein Teil der Familie ist ursprünglich aus Griechenland eingewandert und prägt mit ihrer Erfahrung des Verlusts der Heimat unbewußt die Großfamilie. Anderseits ist das Leben der Hauptfigur durch das gutbetuchte amerikanische Mittelstandsmilieu geprägt. Es geht immer recht turbulent zu, begleitet durch finanzielle Probleme, Begegnung mit Rassismus und Schwierigkeiten bei der Assimilation. Im Mittelpunkt aber steht ein junger Mensch, der sich dem aktuellen Thema Gender in ganz persönlicher Weise stellen muss.
Der Autor ist Amerikaner und 1960 geboren. Er erhielt 2003 den Pulitzer Preis und lebte einige Jahre über den DAAD in Berlin.
Aufbrechen – von Tsitsi Dangarembga
»Aufbrechen« schildert den zähen Kampf des Mädchens Tambu um höhere Bildung und wie sie allmählich dem Stammes- und Dorfleben entschlüpft. Aber alles hat seinen Preis … Die Autorin erhielt den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihr Gesamtwerk. „Aufbrechen“ ist der 1. Teil einer Trilogie, in der das Aufwachsen eines Mädchen unter den Bedingungen der Kolonialzeit und den Begrenzungen einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft geschildert wird. Es erschien bereits 1988. Leider haben wir Literatur aus Afrika, von Afrikanern, bisher meist ignoriert. Aber das lässt sich ja ändern….
Schicksal von Zeruya Shalev
Die israelische Schriftstellerin, Jahrgang 1959, hat es mit ihrem aktuellen Roman direkt in die Bestseller-Listen geschafft. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen einer Familie, die auf unterschiedliche Weise in interne Dramen eingebunden waren, stets begleitet von den politischen Konflikten ihrer Heimat, und nun auf der Spurensuche nach Erklärungen sind. Dabei wird viel Staub aufgewirbelt. Illusionen erweisen sich als solche und die Frage taucht auf, wie man damit künftig leben kann. Hört sich sehr spannend an…
Vom Aufstehen – Helga Schubert
Helga Schubert (*1940) hat mich meinen Leben lang begleitet nachdem ich als Jugendliche ihre Erzählungen „Lauter Leben“ gelesen hatte. Es besteht aus kurzen Einblicken in die Lebensläufe „erwachsener“ Frauen (in der DDR), aber ich fand es höchst interessant und berührend. Vor einiger Zeit habe ich das Büchlein nochmals gelesen und fand, daß einige Stücke immer noch bestehen können. Nun also ihr neuestes Werk, hochgelobt und mit dem renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis bedacht. Ich bin sehr gespannt.
Nun schlaf auch Du
Eine junge französische Familie, die den Spagat zwischen Familie und beruflichen Herausforderungen bewältigen möchte. Eine Nanny, ein Au-Pair-Mädchen, wird eingestellt und dann sollte es doch möglich sein. Wir selbst kennen das Model kaum, aber anderenorts ist es eine durchaus übliche Variante. Über unerwartete Konfrontationen mit anderen Lebenswirklichkeiten und die Dramatik, die sich daraus entwickeln kann, wird hier berichtet. Verfilmt ist das Buch von Leila Slimani bereits.
Berliner Kindheit um 1900 – Walter Benjamin
Das kleine Büchlein enthält keinen Roman, sondern eine sog. Prosaminiatur. Der Autor, 1892 in Berlin geboren, beschreibt, wundervoll geistreich formuliert und auf höchstem sprachlichen Niveau, Erinnerungen an seine Kindertage während der Gründerjahre. Die kurzen Geschichten sprudeln nur so vor Phantasie und Träumerei eines Halbwüchsigen. Andererseits macht es uns heute noch Freude, Berliner Örtlichkeiten zu erkennen, andererseits wird uns vor Augen geführt, welchen unwiderbringlichen Verlust an Persönlichkeiten die Stadt während der Naziherrschaft erlitt.
Berliner Kindheit um 1900 – Walter Benjamin
Acht Berge
Der Italiener Paolo Cognetti erzählt uns eine Geschichte vom Aufbrechen und vom Wiederkehren. Die Freundschaft zweier Knaben – Pietro und Bruno – steht im Mittelpunkt seines Romans. Beide wachsen in einem kleinen Dorf auf. Später trennen sich ihre Wege, aber ein unsichtbares Band verknüpft die beiden Protagonisten und führt immer wieder zu Begegnungen. Lassen wir uns überraschen. Der Autor bekam große Anerkennung für sein Werk, nämlich zwei Literaturpreise: den Premio Strega und den Prix Médicis étranger.
Nachts ist es leise in Teheran – Shida Bazyar
Wurzellosigkeit – das Sein zwischen der Kultur, aus der man fliehen musste und der Kultur, die den Flüchtling aufnahm – und die Auswirkungen auf die Nachgeborenen, das ist das Thema von Shida Bazyar, einer jungen Autorin mit iranischem Familienhintergrund. Sie hat dafür viel Lob sowie einige Literaturpreise eingeheimst. Ein sehr gegenwärtiges Thema.